piwik no script img

Archiv-Artikel

Breit sein für St. Pauli

Der Kiez-Klub hat eine Rettungskampagne ins Leben gerufen, wie sie die taz nicht besser erfinden könnte: Saufen für die Regionalliga-Lizenz. So mancher wird da zum barmherzigen Samariter

auf Rettungstour OKE GÖTTLICH

Na klar, auch das Sailor’s Inn ist dabei. Hier gibt es Whiskey-Cola für 3,50 Euro, und sowieso ist die Welt noch in Ordnung: Die Kneipe wird geschlossen, wenn der letzte Gast geht. Und das dauert häufig länger als ein Tag Stunden hat. Man könnte auch sagen: Im Sailor’s spielt das wahre Leben –und die Jukebox gern Herbert Grönemeyers „Mensch“, ohne Probleme neunmal am Tag. Vielleicht setzen sich deshalb manche Gäste jetzt im Sommer nach draußen. Freiwillig verlässt nämlich sonst niemand die aschduftende Luft, die den klassisch fahlen Teint auf die Gesichter zaubert, der St. Paulianern gesünder erscheint als die Färbung durch ultraviolettes Licht.

Gut, dass der FC St. Pauli für jedes Getränk 50 Cent bekommt, die zuvor draufgeschlagen wurden. Im Sailor’s Inn wird ausschließlich Schnaps getrunken. So gehört sich das für echte Seefahrer, die täglich die Wogen des Lebens umschiffen. Auch mit ihrer Hilfe versucht der Kiez-Club die Lizenz für die Regionalliga zu erhalten. 1,95 Millionen Euro fehlten dem Verein noch vor zwei Wochen. Nun heißt es: Bier trinken, St. Pauli retten. Der lokale Bierpartner des Vereins kann sich gut mit dieser Kampagne identifizieren und hat bereits die Zusammenarbeit für die Regionalliga zugesichert. Gleich wurde der ganze Stadtteil mit Plakaten zugekleistert: 168 Bierkästen stapeln sich darauf im Tor vor der Südkurve des Millerntors. Ein Ball kommt da nicht mehr durch. Grund genug für viele Sympathisanten, sich ebenso breit zu machen für ihren Verein.

„Bloß kein Gegentor in der Regionalliga kassieren“, pöbelt so ein St.-Pauli-Retter. Das passende T-Shirt dazu hat er sich auch schon besorgt. Angesichts seines Alkoholpegels darf man sicher sein, dass er ein eifriger Retter ist. Kalkuliert man fünf gekaufte Kisten Bier, von denen bis zum 20. Juni je ein Euro an den Verein fließen, zehn an diesem Abend getrunkene Gerstensäfte à 50 Cent plus ein 12,90 Euro teures T-Shirt sowie eine um die 100 Euro teure Dauerkarte, hat allein dieser barmherzige Samariter 122,90 Euro für den Verein verkonsumiert, immerhin ein Zehntel des normalen taz-Gehalts. Da kann einen schon das schlechte Gewissen packen. Und zu ertränken gäbe es aus den letzten zwei Jahren auch einiges, wenn man bedenkt, wie schnell der Weg aus der Bundesliga in die Drittklassigkeit führte.

Im Sailor’s Inn wird einem Gehör für Probleme dieser Art geschenkt. Steht doch selbst die Barkeeperin im „Weltpokalsiegerbesieger-Retter“-Jersey hinter dem Tresen und befüllt eine Line von Kurzen. Warum sie mitmache wisse sie selber nicht. „Ich bin natürlich Fan“, sagt sie, „aber wo iss’n das ganze Geld geblieben?“ Jetzt möchte ich auch einen Klaren. „Das haben die sich doch alles in die Tasche gesteckt“, haucht sie mir entgegen. „Darf ich bitte noch einen haben“, antworte ich. Die lange und wenigstens halbwahre Geschichte über die verschlungenen Wege der Millionen beim FC St. Pauli will sie eh nicht hören, denke ich. Jedem Gedankensplitter folgt nun ein Kurzer: Neues Stadion – altes Präsidium – mangelnde Kostenkontrolle – kein Einstellungsstopp – teures Nachwuchsleistungszentrum – Ex-Präsident und Ex-Geschäftsführerin bauen sich zeitgleich neue Häuser – undurchsichtiges Firmengeflecht – teure Spielerverpflichtungen für den Klassenerhalt – Abstieg! So viele Gedanken! Jetzt reicht’s!

Auf dem Nachhauseweg steht St.-Pauli-Präsident Corny Littmann noch immer da und verkauft T-Shirts für den Lizenzerhalt. Daneben verteilt die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Krista Sager, Torte zur Rettung des Kiezclubs. Ein Rettungsanker ist darauf drapiert. Das macht Sinn – und stoppt vermeintlich die Drehungen im Kopf. Erst der nächste Morgen zeigt, dass die Idee mit der Torte unbekömmlich war.

Auf der Suche nach Entspannung am Strand von St.-Peter-Ording sollen die bösen Gedanken endlich Ruhe geben. „Eis essen für St. Pauli“, flasht mir ein Schild beim Strandverkäufer entgegen. Rette sich, wer kann!